CON-TEXTOS KANTIANOS.
Interview with Professor Bernd Dörflinger
ÓSCAR CUBO UGARTE
Universitat de València, España
Die Kritik der Urteilskraft ist eines der faszinierendsten unter den Werken Kants, aber auch eines der schillerndsten, das bis heute noch nicht ausgelotet ist und auch noch der künftigen Kant-Forschung Aufgaben stellt. Innerhalb jedes der drei dort behandelten Themenkreise – Ästhetik, Naturteleologie, moralische Teleologie – hat Kant das menschliche Selbst- und Weltverständnis durch eingehende Analysen ausdifferenziert und vorangetrieben. In den ästhetischen Teilen – und hier wiederum besonders im Teil über das Naturschöne, dem ich mich in meiner Dissertation gewidmet habe – gibt er ein eigenes früheres Vorurteil auf, nämlich dass Lust und Unlust insgesamt als empirisch zu qualifizieren seien. Es ist ein genereller Zug seiner ästhetischen Theorie, Entgegensetzungen zu überbrücken, deren Glieder zuvor zwar in keinem Widerspruch standen, ansonsten aber in beziehungsloser Opposition zu stehen schienen. Ich spiele auf die von Kant noch in der Einleitung beklagte große Kluft an, d.h. die Kluft zwischen der
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theoretischen Vernunft und ihrem Gebiet der sinnlich erscheinenden Natur einerseits und der praktischen Vernunft mit der von ihr vorausgesetzten intelligiblen Freiheit andererseits.
Für den ästhetisch interesselos urteilenden Menschen eröffnet sich angesichts des Schönen eine Beziehung zur Natur, in der diese seinem praktischen Selbstverständnis als freies Wesen nicht länger als indifferente oder sogar als widrige gegenübersteht, sondern als seiner praktischen Denkungsart zugängliche. Ohne in dogmatische Behauptungen zu verfallen, also in aller Vorsicht, hat Kant das in seinem Lehrstück von der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit ausgeführt, das ich für den Kulminationspunkt seiner ästhetischen Theorie halte. Weil sich durch die Thematisierung der Naturschönheit ein erweiterter, menschenfreundlicherer Naturbegriff ergibt, habe ich meiner Dissertation einen ein wenig emphatischen Satz aus einer Reflexion Kants als Leitspruch vorangestellt, der, wie es bei mir der Fall war, auch bei künftigen Lesern und Interpreten der dritten Kritik ein gewisses Motivationspotential entwickeln könnte: „Die schönen Dinge zeigen, daß der Mensch in die Welt passe […].“ (Ak XVI, 127; Refl. 1820a)
Kant legt großen Wert auf die Feststellung, dass die von ihm entfalteten Erkenntnisprinzipien a priori, die Erfahrung ermöglichen, die Verstandeskategorien also, ein System bilden und nicht bloß wie die aristotelischen Kategorien ein Aggregat. Sein Systembegriff ist, was allerdings erst die „Methodenlehre“ der „Kritik der reinen Vernunft“ explizit macht, ein teleologischer. Ein System sei ein gegliedertes Ganzes, in dem sich alle Teile unter der Einheit eines Zwecks wechselseitig aufeinander und auf das Ganze beziehen (vgl. KrV: A 832f./B 860f.). Der eine einzige Zweck wird nun im Fall von erfahrungsermöglichenden Prinzipien kein anderer sein können als das Realisieren bzw. das Erzielen von Erfahrungserkenntnis, d.i. objektiv gültige Erkenntnis der Welt der Gegenstände der Erfahrung.
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Indem explizit wird, dass Erkenntnistätigkeit ein auf einen Zweck gerichtetes spontanes inneres Handeln ist, genauer ein Urteilshandeln mit dem Ziel objektiv gültiger Erfahrungsurteile, tritt etwas zutage, wovon zumeist abstrahiert wird, was also zumeist verborgen bleibt. Es ist die Beziehung des Erkenntnisvermögens auf das Begehrungsvermögen. Wo ein Zweck angestrebt ist, da ist das Angestrebte etwas Begehrtes. Die Erkenntnisintention ist also nach meiner in der genannten Arbeit gegebenen Deutung Ausdruck eines rationalen Begehrens, das die anfängliche Situation einer bloß privaten Subjektivität, wie sie in Wahrnehmungen und auch noch in Wahrnehmungsurteilen vorliegt, zu überwinden sucht, um durch Erfahrungsurteile die objektive Welt der Gegenstände der Erfahrung zu erzielen, die zugleich die gemeinsame Welt aller Erfahrungssubjekte ist. Das Erkenntnissubjekt sucht den Zustand der Privatheit, der ohne das Objekt der Erfahrung zugleich ein Zustand des „Gewühl[s] der Erscheinungen“ (KrV: A 111) ist, „nichts als ein blindes Spiel der Vorstellungen, d.i. weniger, als ein Traum“ (KrV: A 112), zu verändern, um eben mittels Erfahrungsurteil zum Erfahrungsgegenstand zu gelangen. Zugleich gilt, dass wir nach Kant kein inneres Prinzip der Veränderung eines Zustandes kennen „als das Begehren, und […] keine andere innere Thätigkeit als Denken“ (MAN, AA 04: 544.12). – Die Erkenntnistätigkeit weist nach dieser (notwendig skizzenhaften) Beschreibung die 3 wesentlichen Merkmale des kantischen Begriffs des Lebens auf: innere Kausalität nach Zwecken, innerliches Begehren einer Zustandsveränderung, innerliche Tätigkeit als Denken bzw. Urteilen.
Zuletzt kann mit dem Erfahrungsurteil, was ich zu entwickeln versucht habe, sogar eine moralische Bedeutsamkeit verbunden werden. In Kants Texten gibt es vereinzelte, aber doch unverkennbare Ansatzpunkte dafür, etwa wenn er der durch das Erfahrungsurteil hergestellten Beziehung auf den Gegenstand, unterschieden vom bloß privatsubjektiven Vorstellen, eine „Dignität“ (KrV: A 197/B 242) zuschreibt. Das Erfahrungsurteil überwindet, negativ ausgedrückt, die Situation, in der jedes Subjekt seine eigene solipsistische Welt hat, in der die Subjekte untereinander also in keiner Beziehung der Verbindlichkeit stehen. Es erzielt, positiv gesprochen, indem es als objektiv gültiges Urteil zugleich Gültigkeit für jedermann beansprucht, allererst die gemeinsame Welt für alle; es legt allererst den Grund für verbindliche Beziehungen unter den Subjekten. Das aber ist
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etwas, was im Interesse praktischer Vernunft liegen muss. Praktische Vernunft ist es nach dieser Deutung zuletzt, von der das Erzielen von Objektivität mittels Erfahrungsurteilen gefordert ist.
Gerade in der heutigen Zeit, die von schrecklichen Religionskonflikten geprägt ist und in der längst überwunden geglaubter religiöser Fanatismus wieder aufgelebt ist, ist es notwendig, Kants normative Religionskonzeption weiter zu tradieren und möglichst wirksam werden zu lassen. Die Idee einer allein an moralischen Gesetzen orientierten Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft bietet Maßstäbe, um die illegitimen von den legitimen Religionserscheinungen unterscheiden zu können. Diese Idee macht an den historischen Religionsgemeinschaften und ihren internen Gruppierungen und Sekten kenntlich, was bloß Beiwerk sein kann, also nicht Ausdruck moralischer, sondern bloß statutarischer Gesetzgebung ist. Letztere ist Kant zufolge nicht rational einsichtig zu machen, muss also auf willkürliche Setzung zurückgehen. Weil im Fall religiöser statutarischer Gesetzgebungen jeweils Gott als Geltungsgrund angenommen ist, ist eine Mehrzahl konkurrierender Gesetzgebungen dieser Art in einer Mehrzahl von Religionsgemeinschaften prinzipiell konfliktträchtig, und zwar ohne Aussicht auf Kompromiss, denn über für göttlich gehaltene Gesetze können die ihnen anhängenden Gläubigen nicht verhandeln. Ich halte es deshalb um des Religionsfriedens willen für konsequent, dass Kant letztlich die Alleinherrschaft der moralischen Vernunftreligion propagiert, also die Überwindung der historischen Religionen mittels fortschreitender Aufklärung. Die Verpflichtung auf den Weg der Aufklärung setzt selbstverständlich voraus, dass diese Überwindung nicht ihrerseits mit Gewalt betrieben wird, sondern dass es allein durch die Überzeugungskraft von Gedanken dazu kommen wird (wenn auch in noch weiter Ferne).
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Im Rahmen der kontroversen wissenschaftlichen Rezeption des kantischen Konzepts der moralischen Vernunftreligion habe ich mich so positioniert, dass ich die darin enthaltenen zentralen Ideen für tatsächliche Vernunftideen halte, an erster Stelle die umstrittene Idee des höchsten Guts mit der durch sie implizierten Gottesidee. Anders gesagt, halte ich die Religionsidee in der Tat für einen abgeleiteten reinen Vernunftbegriff, der sich einer für Vernunft unvermeidlichen Reflexion darauf verdankt, was denn wohl die vernünftigen Konsequenzen aus dem menschlichen Leben sein müssten, das um das zentrale Thema der Verpflichtung auf Moralität kreist. Dass ein solches Leben folgenlos bleibe bzw. in die Dunkelheit der Indifferenz führe, wird nicht für vernünftig gehalten werden können.
Allerdings mache ich einen Unterschied zwischen der Notwendigkeit der ethikotheologischen Gottesidee und dem durch diese nicht gleichermaßen notwendig gemachten Gottesglauben, der nach der Glaubensdefinition der 1. Kritik ein Überzeugungszustand maximaler subjektiver Gewissheit sein müsste. Kants berühmtes Diktum, dass Moral unausbleiblich auf Religion führe, heißt für mich, dass sie unvermeidlich auf die Religionsidee führt, nicht auf den Glauben im Sinne solcher unerschütterlicher Gewissheit. Der Überzeugungszustand, der der kantischen Vernunftreligion entspricht, ist weiterhin vom Zweifel angefochten. Er ist, so mein Formulierungsvorschlag, ein durch einen vernünftigen Grund gestütztes Hoffen. Der vernünftige Grund ist der, dass das Projekt praktischer Vernunft unvollendet wäre, wenn das Recht- und das Unrechthandeln nicht die angemessenen Folgen hätte, d.h. Folgen, die herbeizuführen menschliches Vermögen nicht hinreicht.
Ein Hauptunterschied zwischen Habermas und Kant ist meines Erachtens schon auf der sehr grundlegenden Ebene der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Vernunft und Offenbarungsglauben festzustellen. Habermas steht dem aufklärerischen Konzept der
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autonomen Vernunft und der ausschließlich aus dieser herzuleitenden Idee der moralischen Vernunftreligion prinzipiell kritisch gegenüber. Vernunft sieht er schon deshalb als relativiert an, weil historische Religionen notwendige Bedingungen ihrer eigenen Genese gewesen seien. Dementsprechend bestreitet er, dass allein Vernunft Quelle von Normativität und Sinnstiftung sei, und hält es für unverzichtbar, auch aus erlösungsreligiösen Offenbarungswahrheiten normative Gehalte zu schöpfen. Innerhalb dieses Konzepts ist es konsequent, dem religiösen Bürger im Prozess der politischen Willensbildung eine besondere Rolle zuzugestehen, und zwar in dieser seiner Qualität, religiös zu sein. Allerdings formuliert Habermas einige Anforderungen, die religiöse und säkulare Bürger in ihrem Diskurs zu erfüllen hätten: Beide sollen in gleichberechtigter Kooperation gemeinsame Übersetzungsarbeit leisten, nämlich bei der Übertragung der besagten normativen Gehalte aus der religiösen in die säkulare Sprache; beide sollen reziprok die Perspektiven wechseln können; der religiöse Bürger soll ein reflexives Verhältnis zur Partikularität des eigenen Glaubens gewinnen und eine Einschränkung seiner sozialen Wirksamkeit akzeptieren können.
Was Habermas bereitwillig akzeptiert, nämlich die Annahme bzw. die vorgebliche Gewissheit einer vernunftexternen, eigenursprünglichen Quelle von Normativität, die letztlich Gott sein müsste, bedeutet nach kantischen Maßstäben unkritische Heteronomie, die hier als Theonomie auftritt. Schon aus der Perspektive theoretischer Vernunft ist Kant prinzipiell offenbarungskritisch, denn es kann seiner Erkenntnislehre zufolge kein Kennzeichen dafür geben, dass Gott es ist, der sich irgendwann und irgendwo mitteilt. Wenn durch solche immer fragwürdigen Mitteilungen nun noch Normen gesetzt sein sollen, die Vernunft nicht aus sich selbst entwickeln kann, dann beruht die Akzeptanz solcher Normen in Kants Sicht auf bloßer Rezeptivität und beweist, aus der Perspektive praktischer Vernunft beurteilt, den unguten Geist „passiven Gehorsam[s]“ (RGV, AA 06: 103.19). Genau dieser Gesetzestypus aber, d.i. nach Kants Terminologie das statutarische Gesetz, ist charakteristisch für die historischen Offenbarungsreligionen. Weil statutarische Gesetze aus Vernunft nicht einzusehen sind, erreichen sie die Adressaten als zufällige und willkürliche Setzungen. Der Modus der Anerkennung solcher Gesetze muss der des Glaubens an Gott als deren Geltungsgrund sein. Insofern es nun mehrere Offenbarungsreligionen mit mehreren konkurrierenden statutarischen Gesetzgebungen und
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also auch mehrere für absolut gehalten Geltungsgründe gibt, ist es nicht vorstellbar, dass unter Menschen ein Konsens ausgehandelt werden könnte, es sei denn für den Preis der Inkonsequenz, Absolutheitsansprüche zu relativieren, d.h. vom jeweiligen Offenbarungsglauben abzufallen. Was Habermas vom religiösen Bürger verlangt, dessen Verhältnis zum säkularen Bürger thematisierend, nämlich den Perspektivenwechsel und ein reflexives Verhältnis zur Partikularität des eigenen Glaubens, geht am Wesen dessen vorbei, was geoffenbarte statutarische Religion ist, nämlich eben Religion mit nicht verhandelbarem Absolutheitsanspruch.
Bei aller Anerkennung der Friedensintention, die bei Habermas erkennbar ist, wird man eher Kant recht geben müssen, wenn er diagnostiziert, dass „über historische Glaubenslehren der Streit nie vermieden werden kann“ (RGV, AA 06: 115.22f.), und wenn er auf die Gefahr hinweist, dass Religionen des statutarischen Typs dazu tendieren, die Gesellschaft insgesamt als „ein Volk […] nach statutarischen Gesetzen“ zu etablieren, d.h. als „Theokratie“ (RGV, AA 06: 99.21-25). Die normative Idee, die Kant dieser Tendenz zum Gottesstaat und zum nicht selten kriegerischen Streit entgegenhält, ist die Idee, dass Religion „endlich […] von allen Statuten […] losgemacht werde“ (RGV, AA 06: 121.14-16). Die verbleibende Religion ohne statutarische Gesetze ist die moralische Vernunftreligion, durch die der Streit unter konkurrierenden Religionen aufhört und die auch in keinem streitenden Verhältnis zum säkularen Rechtsstaat steht. Vor der Realisierung dieser Friedensidee kantischer Prägung ist den noch existierenden Religionen des alten Typs durch den Staat Religionsfreiheit zu gewähren, allerdings innerhalb der Grenzen des säkularen Rechts. Weil der Staat dieses Rechts eben keine Theokratie, sondern Repräsentant des vereinigten Willens aller ist, ist für die Gläubigen des alten Religionstyps die von Habermas eingeräumte Sonderrolle auszuschließen, vernunftexterne Normativität, d.h. normative Gehalte aus Offenbarungen in den politischen Diskurs zu introduzieren.
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Noch bis vor ca. 20 Jahren gab es gewisse festgefahrene Gewohnheiten in der Kant- Forschung, durch die manche Weltgegenden eine Vorzugsstellung vor anderen hatten, ohne dass diese durch eine höhere Qualität der Forschung legitimiert gewesen wäre. Eine solche Gewohnheit war beispielsweise, dass die großen Internationalen Kant-Kongresse bis zum 9. Kongress immer im Wechsel zwischen Deutschland und den USA stattgefunden haben. Das hat sich seit dem 10. Kongress in São Paulo im Jahr 2005 geändert. Seitens der Kant-Gesellschaft war die Entscheidung zugunsten von São Paulo ganz bewusst als Signal der Öffnung gedacht, dem andere solche Signale gefolgt sind. Doch auch unabhängig davon ist in der Tat eine weltweit intensivierte Beschäftigung mit der Philosophie Kants zu beobachten. Ich begrüße das und betrachte es als eine doppelte Bereicherung. Einerseits ist die Welt durch Kant bereichert, die durchaus noch mehr von z.B. dessen ethischem und rechtsphilosophischem Universalismus braucht; umgekehrt ist aber auch die wissenschaftliche Welt im engeren Sinn durch die verstärkt internationalisierte Kant- Forschung bereichert.
Ich befürworte in diesem Zusammenhang, wenn Kant-Forscher zunächst einmal in ihrer Muttersprache publizieren. Das ist die Sprache, in der sich jeder am differenziertesten ausdrücken kann. Die Gründung der SEKLE, die die spanische Sprache als Wissenschaftssprache in unserem Forschungsbereich kultiviert, ist also zu begrüßen, ebenso die Aktivitäten der anderen weltweiten Kant-Gesellschaften, die die Forschung in ihren Sprachräumen befördern. Die Vielfalt der Sprachen zu begrüßen, bedeutet zugleich, eine weitere Gewohnheit zu relativieren und es für nicht besonders glücklich zu halten, wenn viele, deren Muttersprache nicht das Englische ist, sich von vornherein des Englischen bedienen. Eine starke Dominanz der oft simplifiziert gebrauchten englischen Sprache als Wissenschaftssprache ist wohl für Wissenschaften opportun, in denen es mehr um Quantifizierungen als um subtile gedankliche Unterscheidungen geht, also etwa für die mathematischen Naturwissenschaften oder für die Ökonomie, nicht aber für die Philosophie, die höchstens sprachliches Differenzierungsvermögen verlangt.
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Die Vielfalt der Sprachen wirft natürlich auch ein Problem auf, das Kommunikationsproblem. Doch das ist ein nachgeordnetes Problem, das sich im Prinzip lösen lässt. Was schon jetzt nicht selten geschieht, ließe sich noch intensivieren und professionalisieren, nämlich im Ausgang von der muttersprachlichen Originalforschung Übersetzungen anzufertigen, und zwar unter Mitwirkung von kompetenten Sprechern der Zielsprache. Ich habe persönlich gute Erfahrungen damit gemacht, beispielsweise mit Übersetzungen einiger meiner Texte ins Spanische.
In der Regel ist Kant-Forschung Forschung von Individuen, die sich über längere Phasen hinweg mit speziellen Fragestellungen innerhalb bestimmter Disziplinen beschäftigen. Meine früheren und aktuellen Schwerpunkte sind durch die Beantwortung der obigen Fragen schon zum Ausdruck gekommen. Die Interessen des übrigen Personals der Kant- Forschungsstelle sind recht gleichmäßig verteilt auf die theoretische Philosophie einerseits (es entsteht z.B. gerade eine Habilitationsschrift zu Kants Theorie des Selbstbewusstseins) und die praktische Philosophie andererseits (mit der Frage nach dem Verhältnis von Recht und Ethik beschäftigt sich ein anderer Kollege schon seit längerem). Die recht vielen Wünsche von vor allem ausländischen Kant-Forschern, in Trier Forschungsaufenthalte zu verbringen, bewerte ich als erfreuliches Anzeichen dafür, dass unsere Forschungsstelle als ein Ort für konzentriertes Arbeiten und für intensiven wissenschaftlichen Austausch geschätzt wird. Diese Funktion, einen Rahmen für diese Kommunikation unter Einschluss von – möglichst inspirierenden – persönlichen Begegnungen zu bieten, ist wohl die Hauptfunktion von Forschungsstellen wie der in Trier, Florianópolis und andernorts. Durch sie ist die Kant-Forschung institutionalisiert, mithin deren Kontinuität eher gewährleistet als bloß durch einzelne Professuren mit diesem Schwerpunkt, die im Fall des Wechsels von Personen leichter zur Disposition gestellt werden können.
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Auf ein Gemeinschaftsprojekt, das zurzeit in Trier vorbereitet wird, möchte ich doch auch noch hinweisen. Es handelt sich um den Band 6 einer zweisprachigen Kant-Ausgabe, einer deutsch-russischen. Geplant ist, Kants Religionsschrift auf diese Weise zu publizieren. Eine Forschergruppe, zur Hälfte aus russischen Kolleginnen und Kollegen bestehend, ist bereits gegründet.
Obwohl die in Deutschland ansässige Kant-Gesellschaft keinen förmlichen Anspruch darauf hat, ist sie doch, wenn ich mich nicht irre, de facto als eine der Zentralstellen der international vernetzten Kant-Forschung anerkannt. Das hängt wohl in erster Linie mit der Herkunft und der Muttersprache der Zentralfigur unseres Interesses zusammen, also mit Immanuel Kant. Diese Anerkennung könnte aber auch noch zusätzlich mit dem fast schon ehrwürdigen Alter der Gesellschaft zusammenhängen, mit ihrer maßgeblichen Rolle im Zusammenhang der schon erwähnten großen Internationalen Kant-Kongresse und schließlich mit ihrer auch schon erwähnten Öffnung über den deutschen und den angelsächsischen Sprachraum hinaus. Obwohl es nicht leicht ist, in eigener Sache zu urteilen, glaube ich, in meiner Zeit als 1. Vorsitzender insbesondere zu dieser Öffnung etwas beigetragen zu haben. Das alles gilt es zu perpetuieren. In diesem Zusammenhang ist es mir ein besonderes Anliegen, die Tradition des Multilateralen Kant-Kolloquiums fortzusetzen, das ich von Anfang an begleitet und unterstützt habe. Der zentrale Gedanke war und ist es, besonders die Kant-Forschung des lateinischen Sprachraums zu akzentuieren und ihr von Zeit zu Zeit durch konzentrierte Darstellung Sichtbarkeit auch über diesen Sprachraum hinaus zu geben. Das diesjährige Multilaterale Kolloquium wird übrigens, wie Sie ja wissen, vom 11. bis zum 13. Oktober in Catania stattfinden.
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Die Herausgabe der Kant-Studien und der Kant-Studien-Ergänzungshefte ist die zentrale Daueraufgabe der Kant-Gesellschaft. Dass beide kein schlechtes Renommee haben, lässt sich an der Vielzahl der Autoren ablesen, die ihre Beiträge bzw. monographischen Untersuchungen zur Veröffentlichung anbieten. Die Herausgeber sind bei der Auswahl um einen hohen Professionalitätsstandard bemüht, z.B. mittels des Verfahrens der doppelten anonymen Begutachtung.
Ein Teil der Antwort auf diese Frage ist oben schon gegeben. Um es in Kürze noch einmal zusammenzufassen: Ich bewerte die spanischsprachige Forschung als eine Bereicherung der Kant-Forschung und begrüße also alle Mittel, die geeignet sind, ihr hohes Niveau und ihre Kontinuität zu sichern. Die SEKLE, die REK und die Tradition der lateinamerikanischen Kant-Kongresse gehören zweifellos dazu. Eine intensivierte Zusammenarbeit mit der Kant-Gesellschaft könnte etwa bedeuten, dass die wechselseitigen Informationen über die jeweiligen Aktivitäten verstärkt würden. In den Kant-Studien könnten beispielsweise in der Rubrik „Mitteilungen“ Berichte oder Nachrichten seitens der SEKLE veröffentlicht werden. Eine bilaterale Fachtagung zu einem bestimmten Kant- Thema könnte man ins Auge fassen, allerdings wohl erst nach dem XIII. Internationalen Kant-Kongress in Oslo (06. bis 09. August 2019), der zurzeit die Arbeitskraft bindet.
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